Spielbanken und Lotterien in Liechtenstein? – Eine historische Perspektive.
Alois Ospelt
In jüngster Zeit sind in verschiedenen Leserbriefen das Angebot an Spielbanken und die Auswirkung ihrer Tätigkeit in Liechtenstein kritisch hinterfragt worden. Viele Leute machen sich Sorgen über die Anzahl zugelassener Casinos und befürchten, dass die „Casino-Flut“ ungezügelt weiter ansteigt. Die Initiativgruppe „Volksmeinung“ möchte die Zahl der Casinos begrenzen.
Die Frage, ob und unter welchen Bedingungen Spielbanken und Lotterien in Liechtenstein errichtet werden könnten, hat in den letzten zwei Jahrhunderten Landesbehörden und Bevölkerung mehrmals beschäftigt. Im Folgenden soll kurz dargestellt werden, wie damals geurteilt und entschieden wurde. Die historische Perspektive kann auch für die gegenwärtigen Diskussionen Hinweise geben.
19. Jahrhundert
Im 19. Jahrhundert haben ausländische Private oder Gesellschaften immer wieder um Konzessionen zu Spielbanken oder Lotterien angesucht. Das erste Gesuch für eine Zahlenlotterie geht auf das Jahr 1812 zurück. Es wurde wie auch weitere Konzessionsgesuche abgelehnt. Gemäss Polizeiordnung von 1732 und damals geltendem Strafrecht waren Glücksspiele streng verboten. Auch die später erlassene Polizeiordnung von 1843 untersagte „Hazardspiele wegen der daraus entspringenden verderblichen Folgen auf das schärfste“, und mit Verordnung von 1847 wurde „jede Art Errichtung von Lottos, Lotterien und Spielbanken, sei es von In- oder Ausländern“ verboten. Das Verbot war schliesslich auch in dem 1859 in Liechtenstein eingeführten österreichischen Strafgesetz enthalten.
Die verschiedenen europäischen Staaten stellten sich unterschiedlich zum Glücksspiel. Einige erlaubten es, weil man öffentliches Glücksspiel zum finanziellen Vorteil des Staates für weniger verderblich als geheim betriebenes hielt. In anderen Staaten, so in Österreich und Preussen, waren alle Hazardspiele verboten, auch das Spielen in auswärtigen Lotterien. In Deutschland war Preussen mit der Aufhebung von Spielbanken vorausgegangen. In den von ihm 1866 annektierten Ländern durften die dort errichteten Spielbanken bis Ende 1872 fortbetrieben werden. Danach mussten alle deutschen Spielbanken schliessen. Sie wurden erst 1933 unter den Nationalsozialisten wieder eröffnet.
Das Glücksspielverbot in Frankreich und Deutschland nutzte dem Fürstentum Monaco und liess die Spielbank von Monte Carlo erblühen. Diese Gelegenheit bot sich auch Liechtenstein. Die Spielbankgesellschaft von Baden-Baden wollte 1872 ihr Geschäft verlagern und suchte im Land um eine Betriebskonzession an. Sie bot neben anderen Vorteilen eine für liechtensteinische Verhältnisse riesige Abfindungssumme von 8 Millionen Franken. Besonders bei der damals schwierigen Finanzlage des Staates war das Angebot verlockend. Angesichts verheerender Rheinhochwasser und gewaltiger Summen, die der höchst dringliche Bau von Hochwuhren verschlang, kämpfte das Land damals geradezu ums Überleben.
Der Landtag befürwortete deshalb die Konzessionierung und ersuchte den Fürsten um Zustimmung. Fürst Johann II. blieb jedoch bei seiner ablehnenden Haltung. Moralische Bedenken und insbesondere eine Intervention des österreichischen Aussenministeriums bewogen ihn dazu. Für die Rheinbauten gewährte er dem Land grosszügige unverzinsliche
Darlehen. Vor dem Hintergrund der bestehenden Verbote in der Schweiz und in Deutschland wäre eine Spielbankenkonzession aussenpolitisch sehr gewagt gewesen. Aus diesen Gründen lehnte die Regierung 1875 und 1891 weitere Gesuche kurzerhand ab, mochten sie auch noch so lukrativ gewesen sein.
Polizeiordnung 2. 9. 1732.
„Zum Elfften;
vom Spihlen
Dieweilen auch das Spihlen in Unserem Land dergestalten im Schwung gehet, dass nicht nur in denen öffentlichen Würths-, sondern auch in andern Häuseren und Wincklen vilmahlen bis in die halbe, ja offtmahlen die ganze Nacht, besonders Winters-Zeit, gespihlet wird, woraus nichts anders als Hass und Neyd, Zanck, Hader, Schlägerey, Gotts-Lästerung und andere Ungemach entstehen. Demnach gebiethen Wür, dass sich fürohin von Unseren Unterthanen Ledig und Verheyrathe und also ein jeder des schwähren Spihlens so wohl mit Karten als Würfflen gäntzlichen enthalte, es wäre dann Sach, dass solches etwann Kurtzweil halber oder umb ein Glass Wein geschehen wolte, darbey aber keinem über 15 Kreutzer zu verspihlen, auch längers nicht dann Sommers- bis 9 und Winters-Zeit bis 8 Uhr gestattet seyn und so sich dessen einer weithers unterfangen oder hierzu Unterschleiff geben wurde, jedesmahlen umb zwey Pfund Pfenning abgestrafft und, da einer auf Borg was verspihlet, keine Bezahlung gestattet werden solle.“
Strafgesetzbuch 3. September 1803
Gesetzbuch über Verbrechen und schwere Polizey-Uibertretungen (Strafgesetzbuch) vom 3. September 1803
Zweyter Theil Erster Abschnitt. Von den schweren Polizey-Uibertretungen, und Bestrafung derselben
13. Hauptstück
Von schweren Polizey-Uibertretungen gegen die öffentliche Sittlichkeit §. 245-269
„§ 266. Das Spielen eines verbotenen Spieles, unterwirft sowohl alle Spielenden, als denjenigen, der in seiner Wohnung spielen lässt, für jeden Fall der Strafe von neunhundert Gulden, wovon das eingebrachte Drittheil dem Anzeiger zufällt; und wäre er selbst im Falle der Strafe, auch diese ganz nachgesehen wird. Bei denjenigen, welche die Strafe zu bezahlen, ausser Stand sind, ist die Geldstrafe in strengen Arrest von einem bis zu drey Monaten umzuändern. Ausländer, welche über verbotenen Spielen betreten werden, sind aus den Erbländern abzuschaffen.“
Polizeiordnung 14. 9. 1843
„§ 26 Hazardspiele
Hazardspiele werden wegen der daraus entspringenden verderblichen Folgen auf das schärfste verboten. Die Strafe der dawider handelnden Spieler, dann der Gastwirthe oder auch Hauswirthe, wenn derartige Spiele in Privatwohnungen gestattet werden, ist zwischen 5 bis 20 fl. Oder angemessene Arreststrafe. Das eingebrachte Drittel fällt dem Anzeiger zu,und wäre er selbst im Falle der Strafe, so wird diese ganz nachgesehen. Bei gleicher Strafe wird auch alles Spielen um Geld oder Geldeswerth für Unmündige und für Minderjährige bei ihren Verhältnissen nicht angemessenen Beträgen verbothen.“
20. Jahrhundert
1913 langten bei den Behörden zwei Gesuche um eine Spielbankenkonzession ein. Das eine beabsichtigte, eine grosse Kuranstalt mit zwei Spielsälen zu errichten. Das andere, mit einem Kapitalbedarf von 50 Millionen Kronen, plante ein Casino nach dem Vorbild von Monte Carlo. Beide versprachen Arbeitsplätze und stellten grössere jährliche Zahlungen bis zu 500‘000 Kronen in Aussicht. Diese Summe lag deutlich höher als die damaligen Gesamteinnahmen des Staates. In ausländischen Zeitungen wurde kritisch über die Casinopläne berichtet. Von Spielhöllen und einem „Monte Carlo in den Alpen“ war die Rede. Ein Teil der Bevölkerung und Ortsvorsteher befürworteten eine Konzessionserteilung wegen der Aussicht auf eine verbesserte Beschäftigungslage und vermehrte Einnahmequellen. Fürst und Regierung lehnten wie schon 41 Jahre zuvor aus grundsätzlichen und moralischen Überlegungen eine Konzessionierung ab. Sie widerspreche den geltenden Strafgesetzen und provoziere Interventionen der Nachbarstaaten. Durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde ein Behördenentscheid aufgeschoben.
Die Spielbankfrage stellte sich 1919 erneut. Wieder bemühten sich zwei Gesellschaften um eine Konzession zum Bau und Monopolbetrieb eines Casinos und zur Errichtung einer Kuranstalt mit entsprechenden Bauten und Einrichtungen. Sie versprachen, die gesamte Volkswirtschaft des Landes zu heben und den Fremdenverkehr zu fördern. Erhebliche jährliche Zuwendungen für fast alle staatlichen Aufgaben, darunter die Erstellung einer Trambahn zwischen Feldkirch und Ragaz sowie der Ausbau des Lawenawerks, gehörten zu den überaus verlockenden vielfältigen Angeboten. Die zu erwartenden hohen Einnahmen, verbunden mit einem allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung, sprachen für die Gewährung einer Konzession. Sittenverfall, der Ausverkauf Liechtensteins und die Enteignung von Grund und Boden standen auf der anderen Seite. Für den Casinobauplatz waren 40‘000 Klafter vorgesehen.
In der innenpolitischen Auseinandersetzung, in den Landeszeitungen, aber auch in ausländischen Medien wurden solche gegensätzliche Meinungen vertreten. Der Landtag sprach sich gegen eine Volksabstimmung über diese Angelegenheit aus. Schliesslich kam es zur Ablehnung der Konzessionsgesuche. Fürst und Landesverweser bekräftigten das gesetzliche Verbot von Glücksspielen und stellten sich gegen eine Konzessionierung. Sie hatten, wie auch die Geistlichkeit des Landes, moralische Bedenken und fürchteten, dass Liechtenstein an Ansehen verlieren würde. Ausschlaggebend für die Ablehnung waren aussenpolitische Gründe. Die Schweiz liess durchblicken, dass sie sich gegen Auswirkungen einer Liechtensteiner Spielbank schützen müsse und das Land die damals angestrebten Verhandlungen über einen Post- und Zollvertrag gefährde. Dieses Risiko wollte man nicht eingehen. Im Schlussprotokoll zum Zollvertrag 1923 wurde denn auch festgehalten, dass „die Duldung oder Errichtung einer Spielbank auf dem Gebiet des Fürstentums ausgeschlossen ist“.
Klassenlotterie
1925 vergab die Regierung trotz Bedenken wegen des Lotterieverbots in der Schweiz eine Konzession für eine „Klassenlotterie in Liechtenstein“. Die Betreiber versprachen hohe Einkommen für den Staat und neue Arbeitsplätze. Sogleich nahm die Lotterie den Betrieb mit 210 Beschäftigten auf. Von Beginn an zeigten sich verschiedene technische, finanzielle und juristische Schwierigkeiten für das wenig seriöse Unternehmen. Widerstand kam vor allem aus der Schweiz. Schon bald gab es Gerichtsverfahren gegen die Betreiber. 1926 konnte mit einer neuen Konzession an eine andere Firma die Klassenlotterie nur für kurze Zeit fortgeführt werden. Unüberwindliche Probleme führten dazu, dass die Regierung ihr noch im gleichen Jahr die Konzession entzog.
Wegen der Klassenlotterie gab es heftige Auseinandersetzungen im Landtag und in der Öffentlichkeit. Die Erwartungen des Staates sowie in- und ausländischer Privatpersonen, rasch möglichst viel Geld einzunehmen, erfüllten sich nicht. Das Geschäft belastete das Verhältnis zur Schweiz und schadete dem Ansehen Liechtensteins im Ausland.
Klassenlotterie und Sparkassaskandal
Eigentlich stand die Klassenlotterie auch am Beginn des Sparkassaskandals. Eines der verschiedenen verlustreichen Spekulationsgeschäfte, die 1928 beinahe zum Ruin der Landesbank geführt hatten, war nämlich die Ausdehnung der Klassenlotterie nach Rumänien nach deren Scheitern 1926 in Liechtenstein. Sie wurde von einem der für den Sparkassaskandal hauptverantwortlichen Spekulanten betrieben. Das Geld für die riskanten Geschäfte in Rumänien wurde betrügerisch über Kredite, Bürgschaften und Wechsel der Sparkasse beschafft. Der Gesamtverlust der Sparkassa belief sich auf gut 1,8 Millionen Franken oder doppelt so viel wie das damalige Jahresbudget des Landes.
Mutualclub-Lotterie
Dem Mutualclub erteilte die Regierung 1925 eine „Konzession zum Betrieb von Geldlotterien auf englischen Sportveranstaltungen“. Das Unternehmen war aus dem Kanton Uri nach Liechtenstein gezogen, nachdem in der Schweiz ein Verbot für alle nicht wohltätigen Lotterien in Kraft getreten war. Es zahlte neben einer Bewilligungsgebühr Steuern für jede einzelne Ziehung in die Landeskasse. Im November 1926 bezifferte es gegenüber der Regierung seine Gesamtausgaben in Liechtenstein mit 820‘000 Franken. Die Lotterie beschäftigte mehrere Dutzend Personen in Vaduz. Für den Losversand benutzte sie illegal auch schweizerische Postämter und Deckadressen. Auf Druck aus der Schweiz musste der Landtag daraufhin das schweizerische Lotteriegesetz auf den 1. Januar 1934 übernehmen. Die Mutualclub-Lotterie stellte 1934 ihren Betrieb ein, nachdem sie im Jahr zuvor noch ein eigenes Geschäftsgebäude, den sogenannten Engländerbau, errichtet hatte. Das Spielbankenverbot in der Schweiz wurde fortan auch in Liechtenstein angewendet. Pläne für die Errichtung von Spielbanken in Liechtenstein waren bis zur Aufhebung des Verbots 1993 hinfällig. Mit dem Geldspielgesetz 2011 wurde dann eine Grundlage zur Konzessionierung solcher Betriebe geschaffen.
Konstanten historischer Betrachtung
Aus zwei Jahrhunderten Spielbankengeschichte in Liechtenstein sind verschiedene Konstanten erkennbar:
- Der Anstoss zu Geldspielunternehmungen kam jeweils von aussen. Es waren privatwirtschaftlich gewinnorientierte Gesuchsteller, die in Liechtenstein vorteilhafte Bedingungen für ihr Glücksspielgeschäft suchten und dafür beträchtliches Kapital aufboten.
- In den Herkunftsländern der Gesuchsteller galten wie auch in Liechtenstein Verbote und Beschränkungen für Glücksspiele, deren schädliche Auswirkungen verhindert werden sollten. Für eine Realisierung der Spielbanken- und Lotteriepläne waren deshalb rechtliche Hürden zu überwinden. Im Kleinstaat Liechtenstein schien dies eher möglich zu sein. Seine Behörden und die Bevölkerung konnten leichter beeinflusst und für die Vorhaben gewonnen werden.
- Für die angesuchten Konzessionen wurden jeweils hohe Geldzahlungen und andere Leistungen geboten. Liechtenstein suchte vermehrte Einnahmequellen und zusätzliche Arbeitsplätze. Die Angebote waren angesichts der knappen Staatsfinanzen und der gedrückten Wirtschaftslage sehr verlockend.
- Die Verwirklichung der Projekte hätte den Staat und einen Teil der Bevölkerung abhängig von privatwirtschaftlich gewinnorientierten Kapitalgruppen gemacht.
- Gegen Spielbanken und Lotterien gab es grundsätzliche und ethisch-moralische Bedenken. Sie kamen in den geltenden gesetzlichen Verboten zum Ausdruck.
- Letztlich entscheidend für die Ablehnung von Spielbankenkonzessionen und für die Abkehr von Lotterieunternehmen war jeweils die Rücksicht auf die Interessenlage der Nachbarländer. Die mit ihnen bestehenden engen vertraglichen Bindungen wollte und konnte Liechtenstein nicht aufs Spiel setzen.
- Auf dem Spiel stand bei den in Frage stehenden Konzessionierungen auch der Ruf des Landes. Das Ansehen Liechtensteins im Ausland wurde durch Presseberichte über befürchtete ungünstige Auswirkungen zugelassener Spielbanken- und Lotteriegeschäfte angeschlagen.
Quellen, Literatur:
Geiger: Krisenzeit 1, 1997, 1, S. 88-93; Krisenzeit 2, S. 28f.
Ospelt: Wirtschaftsgeschichte, 1972, S. 325f.
Quaderer-Vogt: Bewegte Zeiten, 2014, Bd. 1, S. 103-108; Bd. 2, S. 166-172; Bd. 3, S. 240-261.
Schädler: Landtag, JBL 1 (1901), S. 172-174.