zur Casinoentwicklung in Liechtenstein
Anfänglich Hemmungen, jetzt wilde Fahrt
Vor nicht allzu langer Zeit haben einflussreiche Einzelinteressen mit grosser Beharrlichkeit die Casinoidee im Land gepuscht und tatsächlich, trotz Bedenken bei Regierung und Landtag, Gehör gefunden. Ein einziges Casino in Vaduz sollte es sein, konzessioniert und geduldet. Die Sache wurde dann aber politisch und rechtlich zu kompliziert und zu anspruchsvoll, und so wurde auf das Bewilligungsverfahren gewechselt. Das heisst, jeder, der die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt, hat das Recht, eine Bewilligung für den Spielbankenbetrieb zu erhalten.
Inzwischen, innert weniger Jahre, rasend schnell hat die Casinokrankheit unser ganzes Land von Ruggell bis Balzers erfasst und überwuchert. Bis in die Spitzen von Wirtschaftskammer, Parteipräsidien und Sport ist sie vorgedrungen. Landbekannte Medienleute lassen sich einspannen. Ein alt-Regierungschef wird VR-Präsident eines Casinobetreibers.
Büetzer und Büetzerin, Senioren, Schüler und Studenten werden als fahrende Reklameschilder für Casinoglück im Lie-Mobil Bus von Feldkirch bis Sargans benutzt. Unsere Fussballer, propagiert als Vorbilder für unsere Jugend und Sport, tragen (stolz?) Casinoreklame auf ihrer Brust. Jede Hemmung gegenüber aufdringlicher Reklame, egal auf welchem Träger, ist abhandengekommen. Haben wir vollkommen die Orientierung verloren oder sind schon süchtig geworden in unserem Casinoland?
Wer geht denn ins Casino? Nicht ein paar wenige Millionäre am Roulette-Tisch, um die es einem nicht leidtun müsste, wenn sie Millionen verspielen. Es sind zur Hauptsache durchschnittliche Lohnverdiener, Familienväter, Hausfrauen, Angestellte, die ihr begrenztes Budget verzocken in der illusorischen Hoffnung, doch einmal den grossen Gewinn zu machen und endlich reich zu werden. Die Hoffnung ist gross beim Hineingehen, die Vorstellung ebenfalls von schönen Frauen und erfolgreichen Männern, von Vergnügen, Chips und Drinks am Spieltisch, von materiellem Glück an sich, das einem vom Lie-Mobil Bus anlacht. Die Enttäuschung für fast alle ist vorprogrammiert, die Enttäuschung über den Verlust, über das Casino, über unser Land. Diese aber steht nicht auf dem Lie-Bus.
Millionen spülen die Glücksspiele bereits in die Staatskasse und noch mehr auf die Konten der Betreiber. Brauchen wir diese Millionen, zu Lasten unserer Reputation, da wir doch jetzt schon das reichste Land auf der Welt sind, und nicht irgendein verarmtes Reservat in Arizona, das mit Casinogeldern über Wasser gehalten wird?
Arbeitsplätze würden geschaffen: Brauchen wir diese, da wir doch jeden neu geschaffenen Arbeitsplatz mit Zu-Pendlern besetzen müssen?
Wachstum werde geschaffen! Für was denn, für wen, und mit welchen Mitteln? Quantitatives Wachstum ist es allenfalls. Aber wo ist das qualitative Wachstum, das der liechtensteinischen Wirtschaft bekanntlich jetzt schon mangelt? Hochqualifizierte Arbeitskräfte braucht es im Glücksspielbereich sehr wohl: vor allem bei den staatlichen Aufsichtsorganen, den Gesundheits- und Sozialbetreuer/-innen!
Die finanzielle Abhängigkeit unseres Staates und der Gemeinden vom Glückspiel wächst mit wachsenden Casinoeinnahmen. Ja, sie wächst noch stärker, wenn wir die Casinosteuern erhöhen und trotzdem nach wie vor Standortvorteile gegenüber dem Ausland bieten wollen, das heisst, Casinobetreiber anziehen.
Zahllose Bauunternehmen, Gewerbebetriebe, Dienstleistungen werden ein immer grösseres wirtschaftliches Interesse an der wachsenden Spielbanken-Industrie in unserem Land haben. Es ist Wachstum um jeden Preis und Abhängigkeit von leichtem Geld.
Wir kämpfen mit unserem Verkehrsproblem! Wie viele von den hunderten Casinoangestellten und den tausenden Spielern fahren mit dem ÖV oder mit dem Fahrrad ins Casino?
Aufenthaltsbewilligungen für superreiche Casinobesitzer werden erteilt, damit sie nicht nur ihr nationales, sondern auch ihr internationales Geschäft von Liechtenstein aus steuergünstig betreiben können. Immerhin, könnte man sagen, dann zahlen sie wenigstens Steuern hier, wenn sie hier wohnen.
Attraktives Casinoland
Unser Fürstentum ist attraktiv für Casinobetreiber, nicht allein wegen der günstigen Abgaberegelung. Die Standortvorteile sind evident: Solides Fürstenhaus, funktionierender Rechtsstaat, kurze Behördenwege bis hin zu Regierung und Amtsleitern, politische Stabilität, Schweizerfranken, EWR, wirtschaftsfreundliches Klima, zuverlässige und leistungswillige Bevölkerung, guter Ruf, blühender Wirtschaftsraum im mittleren Rheintal mit viel Geldschöpfung, Triple A Rating für den Staat, und was sonst noch für Vorteile von Wirtschaftsförderern und Image- und Marketingprofis für Liechtenstein in den Ring geworfen wird.
So schnell wird sich der Spielbankenmarkt im Fürstentum nicht selbst regulieren beziehungsweise redimensionieren. Das ist Wunschdenken. Dafür sind wir zu attraktiv.
Vielmehr ist es umgekehrt: Das Angebot treibt die Nachfrage. Mit dem Premium-Angebot, das die hiesigen Spielbanken dank der super Wertschöpfung bieten können, wächst deren Attraktivität weit über St. Margrethen, Bregenz und Chur hinaus. Wie viele reisen denn wegen der Casinos und deren Umfeld bis nach Las Vegas! Ja, super, das Fürstentum wird eine tolle Casinozukunft haben.
Vergesst den Ruf, vergesst Hilti, vergesst Hoval, vergesst LGT, vergesst OC Oerlikon, vergesst Ivoclar, vergesst die Vereinigung Gemeinnütziger Stiftungen. Wir sind jetzt Casinoland. Dieser Ruf wird alles andere zudecken.
Der Geist ist aus der Flasche mit dem Wechsel zum Polizeibewilligungsverfahren. Wir bringen ihn nicht mehr hinein, und dem Staat droht der Kontrollverlust.
Aus Fehlern lernen
Was tun? An der Abgabe-Stellschraube leicht zu drehen und gleichzeitig die abgabemässigen Vorteile gegenüber dem Ausland zu wahren, wird es nicht bringen. Im Gegenteil, es wird uns noch abhängiger oder süchtiger machen nach höheren (Steuer-) Dosen. Das Fürstentum ist zu attraktiv für die Glücksspielbranche. Sie wird die höheren Abgaben schlucken und wachsen und am Schluss mehr Druck aufsetzen über ihre Netzwerke im Land auf Kosten unserer Reputation, unserer Werte, unserer Bodenhaftung.
Homöopathische Arzneimitteldosen in Form von Steuererhöhungen werden es nicht bringen. Damit werden wir nur eine Verschleppung der Krankheit erreichen. Tiefere Schnitte werden im jetzigen Stadium nötig sein, um das Problem wieder in den Griff zu bekommen. Es wird weh tun. Treu und Glauben im Geschäftsverkehr, im staatlichen Handeln werden kurzfristig, leiden. Demgegenüber steht in einer Güterabwägung die Verhinderung eines langfristigen Reputationsschadens für unser Land und unser Staatswesen, die Bewahrung eines lange gewachsenen Selbstverständnisses unseres Volkes. Was wollen wir sein? Ein Volk von Spielern und Zockern, dem die moralische Erosion und der gesellschaftliche Zusammenhalt, die gemeinsamen Wertvorstellungen egal ist? Dem es egal ist, ob ausländische Spielkonzerne die Kontrolle in einem immer grösseren und fragwürdigen Wirtschaftszweig in unserem Land ausüben, uns als Plattform benutzen, solange die Kugel rollt und Automaten klingeln? Und was sind das für Menschen und Kreise, die Macht im Casino- und Glücksspielmarkt ausüben? Kontrollverlust droht allemal und verstärkt.
Reputationsverlust droht uns, ja ist schon eingetreten. Reputation aber ist nicht bloss Image, Reputation ist überlebenswichtig für ein kleines verletzliches Staatswesen wie wir es sind innerhalb der Staatengemeinschaft. Es geht um Ansehen, um ernst genommen werden, wenn wir bei unseren Nachbarstaaten und in internationalen Organisationen auftreten, mitarbeiten und für uns als Staat daraus etwas gewinnen wollen. Ungleich mehr als ein grosses Staatswesen sind wir auf Achtung und Wohlwollen der Staatengemeinschaft angewiesen, um die für unsere Existenz als Staat notwendigen international rechtlichen Absicherungen zu erlangen.
Es ist zu befürchten, dass Fürst, Regierung und Landtag als Staatsorgane, die starken Wirtschaftskräften ausgesetzt und exponiert sind, dieses Problem allein auf sich gestellt bereits nicht mehr auf die Reihe bringen.
Es macht den Anschein, als ob es jetzt auch noch unsere direkte Demokratie brauche für griffige Gesetz– und unter Umständen sogar Verfassungsgebung, um den Casinoboom zu stoppen und zurückzuschrauben. Es kann uns einiges an Geld kosten, es wird ein Kampf um Macht und Einfluss und Geld stattfinden, es wird Übergangsfristen brauchen, doch es wird langfristig unserem Land zum Nutzen und zum Wohle sein. Ja, wir würden sogar sagen: schon kurzfristig, indem das Volk, zusammen mit den obersten Staatsorganen, schon heute klare Zeichen setzt und Pflöcke einschlägt für das, was wir sind, wo wir stehen wollen. Ein klares Zeichen für das, was wir wollen, und insbesondere für das, was wir nicht wollen. Allein diese wissentlich und willentlich geschaffene Unsicherheit wird die Casinobranche bremsen und stoppen.
Wir haben einen grossen Fehler gemacht in unserem Staat, wir sind einer Fehleinschätzung unterlegen. Wir haben das Recht, diesen Fehler, der unsere Identität und das, was wir sind, in Frage stellt, zu korrigieren. Der Reputationsschaden als zuverlässiger Rechtsstaat wird sich in Grenzen halten. Er ist auf die Casinobranche beschränkt, die uns benützt und ausnutzt. Der Reputationsgewinn im Ausland und insbesondere das Rückgewinnen unseres Selbstwertgefühls im Innern, für das was wir sind und stehen wollen, wird enorm sein. Eine Neuorientierung. Wir brauchen nicht moralische Abrüstung, sondern Aufrüstung und Orientierung für unser Land und unser Volk. Dann wird es nicht „gute Nacht, Liechtenstein“ heissen, sondern viel mehr wieder „guten Tag, Liechtenstein“.
IG VolksMeinung
Zum PDF: Casino-Überlegungen